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Interview mit Clifford Stoll

von jwm

Inhalt
1. Vorwort
2. Das Interview
3. Buchempfehlungen

1. Vorwort

[Clifford Stoll]

Während der IT-Defense hatte ich die Möglichkeit, Clifford Stoll zu interviewen. Clifford war der Erste, der einen Computerhacker entdeckte, verfolgte, aufspürte und schließlich dingfest machte. Das Ganze kann man sehr unterhaltsam in seinem Buch »Kuckucksei« (1) nachlesen.

In seinen Folgebüchern ([2] & [3]) setzte sich Clifford sehr kritisch mit dem Computer und dem Internet, deren gesellschaftliche Auswirkungen etc. auseinander.

Ich habe sein erstes Buch Ende der 80er mit Begeisterung verschlungen, darum war ich äußerst froh über die Möglichkeit, ihn persönlich kennenzulernen. Herausgekommen ist ein fast 1,5-stündiges Gespräch über Gott und die Welt und vieles andere.

Clifford ist ein sehr angenehmer und sympathischer Mensch, etwas hibbelig, aber voll bei der Sache. So sehr bei der Sache, dass wir beide komplett die Zeit vergaßen und das Mittagessen im Hilton ausfallen ließen und Clifford fast verpasst hätte, sich bei seiner Göttergattin zu melden.

Hier ist nun ein gekürzter Auszug des Gespräches.

2. Das Interview

jwm: Hallo Clifford, schön, dass du Zeit für ein Gespräch hast. Das letzte deiner drei Bücher ist ja vor geraumer Zeit erschienen - können wir irgendwann mit einem neuen Buch rechnen?

CS: Im Moment arbeite ich gerade an einem Buch über die »Computer-Frühzeit«. Darin geht es um Algorithmen, mathematische Theorien - all dieses langweilige Zeug.

Es geht um die kleinsten Anfänge der Computergeschichte. Da fällt mir ein, es gibt kein Museum für Algorithmen - oder Subroutinen, Rechenformeln etc. Es muss nicht zwingend in einem Gebäude sein - aber es wäre schön, wenn es so etwas gäbe.

Im Moment schreibe ich zum Beispiel über den deutschen Mathematiker Felix Klein, der sehr bedeutend in der Geschichte der Mathematik in den USA ist - aber keiner dort kennt ihn.

Es wird also kein großes, umfangreiches Buch - im Moment bin ich eh lieber Vater und zu Hause und verbringe meine Zeit mit meinen Kindern.

jwm: In einem deiner Nachfolgebücher erwähnst du das Ende der Beziehung mit Martha, mit der du während der »Hacker-Jagd« zusammen warst. Du hast dich also neu verliebt?

CS: Ja, ich traf jemanden, wir heirateten, bekamen Kinder (an dieser Stelle kramte Cliff die Fotos seiner beiden 10 & 9 Jahre alten Kinder heraus).

jwm: In deinen anderen Büchern vertrittst du ja einen fast schon computerfeindlich zu nennenden Standpunkt (dargelegt am Beispiel von Büchereien) - hat sich an deiner Ansicht etwas geändert?

CS: Google kündigte vor einigen Monaten an, viele Bücher zu digitalisieren - kostenlos. Erschreckenderweise stimmten viele Bibliotheken dem Vorhaben begeistert zu und sagten: "Wunderbar, dann werden wir endlich unsere Bücher los".

Das ist doch total verrückt. Aus vielen Gründen kann man Bücher am Computer eben nicht so gut lesen wie die gedruckte Version. Allein das Lesen langer Passagen auf dem Monitor zum Beispiel oder das Lesen in der U-Bahn, im Bett und so weiter.

Was aber meiner Meinung nach noch mehr dagegen spricht ,ist dass Computer bzw. Suchmaschinen wie Google unsere Art der Wahrnehmung und die Verarbeitung von Informationen ändern. Wir nehmen dadurch nur noch einzelne Wörter oder Satzteile war - aber nicht mehr den Zusammenhang, in dem diese stehen.

Man gibt Suchbegriffe ein und zack - Google liefert kurze, schnelle Erklärungen.

jwm: Ja, heute muss alles schnell gehen.

CS: Nimm nur die inzwischen überall verbreiteten Multiple Choice-Tests: Antwort A, B, C oder D - da braucht man keine Zusammenhänge mehr zu kennen - alles kommt in Häppchen - ideal, um beispielsweise per Google gelöst zu werden. Aber die entscheidenden Fähigkeiten fürs Lesen, das Verstehen, den Umgang mit Menschen - all das hat nichts mit Multiple Choice zu tun.

jwm: Was fehlt ist Komplexität, das gründliche Überlegen.

CS: Ja, zum Beispiel die Vorträge heute morgen: Der beste Weg, Computer sicher zu machen - Möglichkeit A, B, C, D. Aber so funktioniert das nicht, es gibt nicht DEN besten Weg. Das hängt auch immer vom Kontext ab, zum Beispiel, ob der Rechner an einer Uni steht, in einer Bank usw. Für all diese Fälle gibt es unterschiedliche Lösungen - aber keine einfachen Antworten. Das gleiche gilt bei der Suche nach Informationen. Wenn du wissen willst, aus welcher Stadt Goethe kommt, liefert dir Google blitzschnell viele Treffer. Auch wenn du fragst, was Goethe geschrieben hat - zack, da hast du die Literaturliste. Aber wenn du fragst: »Wovon handelt Faust« - dann fallen die Antworten von Google wesentlich spärlicher aus. Und wenn du wissen willst, in welchem Zusammenhang die Geschichte von Faust zu unserer modernen Technologie steht - dann kann dir Google wahrscheinlich keine Antwort liefern.

Das ist eine sehr gute Frage, aber die Beantwortung verlangt Denken, Wissen, viel Zeit, Lesen, Verständnis und so weiter. Und es wird keine eindeutige Antwort geben - deine Antwort wird wahrscheinlich anders ausfallen als meine. Die Digitalisierung der Welt verschafft uns natürlich viel mehr Informationen - aber gerade Informationen haben wir ja schon mehr als genug.

jwm: Entscheidend ist die Strukturierung der Informationen, die Aufbereitung. Und diese Aufbereitung durch andere (wie z.B. durch Google) funktioniert in einer Vielzahl von Fällen, aber nicht in allen.

CS: Ja, nimm nur PowerPoint. Es sagt, die Struktur von Informationen muss Top-Down sein - das ist aber völlig verschieden von der Strukturierung im Internet, wo du Links in Texten hast, hierhin springst, dorthin springst...

Und beide genannten haben nichts mit meiner eigenen Strukturierung zu tun, die in meinem Gehirn stattfindet oder wie Informationen in Büchern strukturiert sind, wie Lehrer sie präsentieren etc.

Was ich damit sagen will: ich brauche nicht mehr Informationen und auch nicht mehr von anderen vorgegebene Strukturierungen. Um auf die Digitalisierung zurückzukommen: wenn es dann vollendet ist, wird man es sich anschauen und sagen: nett, aber wozu?

Heutzutage sind doch schon viele Bücher online lesbar, z.B. die Bibel, in hunderten Übersetzungen. Aber keiner liest sie online - du liest dein Freiexemplar abends im Hotel, im Bett...

Fast alle Zeitungen sind online - aber wer liest denn eine komplette Ausgabe davon online? Einen einzelnen Artikel, die Headlines, ja - aber die komplette Ausgabe liest man doch immer noch lieber beim Frühstück, in der U-Bahn etc.

jwm: Clifford, du bist einfach hoffnungslos altmodisch :)

CS: Ja, und ich bin stolz darauf. Aber ich bin schlimmer als altmodisch, schon fast reaktionär, da ich gegen diese Entwicklungen reagiere. Ich sage: "Hey, da läuft vielleicht das ein oder andere falsch, passt auf!"

Ich habe nichts mit den neuen Medien am Hut, ich besitze seit 1974 keinen Fernseher mehr.

Was mich besorgt, ist dass unsere Gesellschaft eher an schnellen Antworten denn an gründlichem Nachdenken und Überlegen interessiert ist. Das Internet verführt uns meines Erachtens dazu, schnelle, einfache Fragen zu stellen, auf die wir schnelle, technische Lösungen erwarten - und das leider auch bei sehr komplexen Problemen wie unter anderem dem Terrorismus.

jwm: Ja, ein häufiges Problem bei all diesen Themen ist, dass keiner mehr fragt: »Warum?«

CS: Genau, nimm nur all diese Fernsehkanäle - wir haben hunderte davon, und es gibt Menschen, die noch mehr davon wollen - warum? Gerade da sieht man, dass Quantität häufig das Gegenteil von Qualität ist.

Wenn du gutes Essen willst, gehst du ja auch nicht zu McDonalds.

jwm: Clifford, wir sitzen ja hier auf dem IT-Defense-Kongress - was wird Thema deines Vortrags?

CS: (lacht) Ich weiss noch nicht, was ich nachher erzählen werde. Ich habe die letzten fünf bis sechs Jahre keinen Vortrag mehr über Security-Themen gehalten. Ich werde meine alten Folien benutzen, ein bißchen von früher erzählen - irgendwas in der Art.

Ich bin kein Experte mehr dafür - früher, vor 20 Jahren, da war ich Experte - einfach deswegen, weil es außer mir niemanden gab. Aber heute weiß jeder in dem Raum mehr als ich.

jwm: Keine Sorge, ich bin mir sicher dass mehr als 75% der Anwesenden dein Buch gelesen haben - also erzähle einfach die Geschichte.

CS: Stimmt - die Leute wollen ja nicht nur trockene Berichte von Hard- und Software, die Leute wollen Geschichten hören! Über Menschen, nicht über HDs, Disc-Drives etc. Es gibt einfach keine guten Geschichten über Computer oder das Internet z.B. für Kinder.

jwm: Oh, da muss ich dir widersprechen. Eine sehr schöne und ansprechende Einführung in Netzwerke ist »Das Netz der Schattenspiele« von Ralf Isau [4]. Ich weiß allerdings nicht, ob es da eine englische Übersetzung gibt.

CS: Schreib mir noch mal Name und Titel auf, ich schau zu Hause mal danach.

Wo wir gerade bei fehlenden Sachen sind: woran es ebenfalls in der IT mangelt, ist die Offenheit für Anfänger. Immer noch haben viele Menschen Angst davor, Computer zu benutzen. Uns, die wir die Rechner gewohnt sind, kommen sie trivial vor, für Einsteiger sind sie ein Buch mit sieben Siegeln - immer noch, nach Jahrzehnten des PCs. Auch Autos sind zum Beispiel hochkomplex, trotzdem sind sie nicht so angstbesetzt.

jwm: Naja, dafür musst du in eine Fahrschule gehen, bevor du ein Auto fahren darfst; vielleicht wäre das auch bei Computern sinnvoll - dieses »easy to use« kommt doch eher von den Marketingleuten, nicht von den Entwicklern.

CS: Ja, da hast du Recht. Aber nimm nur diesen IT-Sicherheitskongress. Auch heute ist doch das Problem nicht so sehr mangelhafte Hard- und Software, sondern schlecht verwaltete Systeme. Und es sieht nicht so aus, als würde sich die Situation bessern.

Auch glaube ich nicht, daß sich ein Großteil der Benutzer mit Sicherheitsfragen beschäftigen wird - sie haben es ja bisher auch nicht getan. Und weiterhin ist das größte Problem in der IT-Sicherheit der Mensch, nicht die Technik.

Damals, vor 20 Jahren, dachte ich allen Ernstes: so, Hacker gefasst, Job erledigt, Schwachstellen aufgedeckt - das war es mit Computereinbrüchen. Aber da war ich sehr naiv - inzwischen ist es schlimmer geworden, aber es sind immer noch die gleichen Fehlerquellen.

jwm: Tja, einige Dinge ändert sich halt nie.

CS: Monat für Monat sehe ich neue Exploits, neue Versuche, Passwörter zu knacken, Kreditkartennummern zu bekommen. Und ich denke mir jedes Mal: wow, eigentlich clevere Leute, warum aber machen sie so einen Mist? Ich habe es damals schon nicht verstanden, ich verstehe es heute immer noch nicht.

jwm: Ich denke, sie machen es inzwischen unter anderem wegen der Möglichkeit, Geld zu ergaunern. Und das wird ihnen leicht gemacht, da viele doch gar nicht wissen, wie gewisse Sachen funktionieren.

CS: Das erinnert mich daran, wie ich meinen Kindern Basic beibringen wollte, du weißt schon, »10 print hello, 20 goto 10...«

jwm: Heißgeliebter Spaghetticode, ja...

CS: Ich besorgte mir also Visual Basic von MS und verbrachte zwei Tage damit, mich in die IDE einzuarbeiten - ohne jemals den Prompt zu Gesicht zu bekommen. Und dafür waren fünf CDs und massig MB nötig. Ich habe dann entnervt aufgegeben und mir eine Freeware-Basic-Version aus dem Internet heruntergeladen, keine IDE, nur Prompt - und nur 100 KB. Ich wollte ihnen die Grundlagen vermitteln, ohne einen »arbeitserleichternden« Aufsatz.

jwm: Diese Art der Wissensvermittlung ist irgendwie aus der Mode gekommen. Mein Sohn hat im Schulfach Informatik fast ein halbes Jahr damit verbracht, Word und Excel kennenzulernen.

CS: Das ist es, was fehlt - Grundlagenwissen. Man muss nicht programmieren können, aber so ein grober Überblick darüber, was eine CPU macht, wie ein Computer funktioniert etc. wäre nicht schlecht. Auch Algorithmenentwicklung, also wie man ein Problem, eine Aufgabe, in Einzelschritte zerlegt, Lösungen entwickelt, überdenkt, ausprobiert...

Irgendwie habe ich den Eindruck, das »wissenschaftliche« Denken und Verstehen wird nicht mehr genug gefördert.

Schau dich um, gefragt sind nur noch Problemlöser - auch wenn die nicht unbedingt verstehen, was sie da machen.

jwm: Ein Trend, der nicht nur auf die IT-Branche beschränkt ist.

CS: (lacht) Ja, das ist leider wahr. Früher war es einfacher, da war jeder Computerbesitzer automatisch auch intelligent - einfach weil es eine kleine Gemeinschaft war. Dem ist heute leider nicht mehr so. (grinst breit).

jwm: Clifford, vielen Dank für deine Zeit!

3. Buchempfehlungen

Clifford Stoll: »Kuckucksei«

Clifford Stoll: »Log out«

Clifford Stoll: »Die Wüste Internet«

Ralf Isau: »Das Netz der Schattenspieler«

copyright (C) jwm
Erschienen auf Pro-Linux, letzte Änderung 2005-02-09

pro-linux.de, 09.02.05

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